Blumen Labyrinth

Was war den auf einmal mit seiner auf unbekannten Stoffen basierenden Bekanntschaft passiert? Natürlich konnte Jaik absolut nachvollziehen das ein bevorstehender Meteoritenschauer so eine Begeisterung auslösen konnte. Er beobachtete sie nun schon seit Jahren und trotzdem war die Vorfreude jedes Mal groß die interstellaren Besucher zu beobachten die an durch die Erdatmosphäre zogen. Was ihn allerdings irritierte das er diesen Eifer nicht zuvor gezeigt hatte. Immerhin waren sie zuvor im Begriff gewesen eine einzigartige, phänomentale Entdeckung zu machen, da sollte ein ständig wiederkehrendes Phänomen eigentlich weit in den Hintergrund rücken. Die Hoffnung das sie vielleicht doch noch heute zum Raumschiff aufbrechen würden loderte in Jaik auf.
Zuvor konnte er demjenigen der ihm diese Chance ermöglichen würde aber durchaus einen Gefallen erweisen und ein Blick auf die Perseiden lohnte sich sowieso immer. Besonders in einer Nacht wie dieser.
Doch der Blondschopf überraschte nicht nur durch seine plötzliche Euphorie. Auf einmal war er sogar schneller als Jaik und eilte ihm voraus. Der Pilot hob seine Hand zum Militärgruß und salutierte. „Roger Wilco!“ ,bestätigte er in Kommandosprache und führte die Anweisung sofort aus. Mit einem breitem Grinsen auf dem Gesicht und federleichten Schritten die nicht vermuten ließen das er gerade eine wuchtige Teleskoptasche auf seiner Schulter trug. Er war gespannt was das für ein Ort sein sollte und bezweifelte das er mit der Dunkelheit eines abgelegenen Feldes mithalten konnte. Doch er gab ihm nur zu gerne eine Chance ihn von etwas anderem zu überzeugen.

Schon aus der Ferne waren die hohen Holzpfosten zu erkennen die aus dem einst idyllischen Blumen Labyrinth heraus ragten. Die zwischen den Pfosten gespannten Drahtseile verliehen dem Ort nun den Charmes einer Wäscheleine im heimischen Garten. Die Blumen waren zum Großteil bereits zu Herbstlaub verwelkt. Doch in Jaiks Augen lag ein Meisterwerk vor ihnen, das er kaum abwarten konnte zu erreichen. Eiligen Schrittes marschierte er durch den Park, leider ohne sein Lieblingsalien an der Hand.
„Wir können nachher Händchen halten, so wie du es dir gewünscht hast. Wenn es ein bisschen später ist sieht uns bestimmt keiner.” Bisher hatten sie zwei Punkte von Jasons Liste abgeharkt, sie hatten romantisch zusammen gegessen und sich in einem Rosengarten geküsst. Zumindest hatte im verwitteren Hof des Castles hin und wieder eine wilde Rose ihren Kopf durch das Gestrüp gesteckt. Jaik nahm einfach an, dass das zählte. Trotz der Verzögerung konnte er also schon erste Erfolge aufweisen. Händchen halten im Park wäre ein weiterer gewesen. Aber nun waren sie wieder in der Öffentlichkeit. Überall konnten potentielle Kommilitonen lauern. Das er Jason zum Gefallen einen eigenen Wunsch damit unterdrückte kompensierte Jaik damit was vor ihnen lag.
„Hast du schon von dem Hi-Ho-Phänomen gehört das hier vor kurzem nachgewiesen wurde? Bestimmt nicht, immerhin werden die Manuskripte noch reviewt und die Datenerfassung ist noch längst nicht abgeschlossen. Dennoch ist es ein eindeutiger Beweis und ein bedeutender Schritt bei der Ergründung dieser Stadt!” Die wichtigen Informationen unter dem Deckmantel des Schweigens zu bewahren um die Überraschung nicht zu verderben war nicht so einfach, wenn man mit doppelter Geschwindigkeit sprach. Je näher sie den Hecken kamen umso aufgeregter wurde Jaik. Er konnte es kaum abwarten endlich den Zollstock aus seiner Tasche zu holen.

Jason folgte seinem Liebsten möglichst unauffällig. Es war nicht schwer zu erkennen, dass Jaik nicht erpicht darauf war möglichst nahe bei ihm zu sein. Jason hatte am Anfang versucht zu ihm aufzuschließen, doch kaum hatte seine Hand Jaiks Hand gestrichen, zog er sie weg. Zum Glück nur aus dem Grund, weil es noch nicht so spät war und man sie bestimmt entdecken würde. Zwar hatte Jason beschlossen ab heute sich nicht mehr zu verstecken, aber es war etwas anderes, wenn Jaik von seiner Seite aus sagte, er wollte es im Moment nicht zeigen.
Schweigend folgte Jason dem Piloten zum Blumenlabyrinth, das sich seit Jasons letztem Besuch ein wenig verändert hatte. Seltsame Pfosten mit Drahtseilen überspannen die Blumenpracht und gaben der Szenerie einen ganz seltsamen Eindruck. Skeptisch huschten Jasons Augenbrauen nach oben. Vor dem Labyrinth blieben sie stehen und Jaik begann erste Andeutungen darüber zu machen, worum es sich hier handelte. Mal wieder fragte sich Jason, woher Jaik diese besonderen Informationen hatte. Vor allem klang es so, als wäre das ein Top Secret Projekt und nicht gerade für die Ohren eines einfachen Medizinstudenten gedacht.
"Das sagt mir alles nichts, aber mal ganz ehrlich, woher weißt du davon?", hakte Jason nach und schaute Jaik etwas ungläubig an, "Du klaust doch nicht etwa geheime Forschungsdaten vom Militär oder?"

Kurz vor der äußeren Hecke blieb Jaik stehen um Jason über seine Schulter anzugrinsen. Genau auf diese Frage hatte er nur gewartet. So sehr, dass er um die Antwort zu präsentieren sogar kurz sein Vorhaben unterbrach. Mit seinem stolz aufgerichteten Kreuz machte er seinem hirschigen Rufzeichen alle Ehre. „Du fragst dich weshalb ich vom Hietala-Hoffman-Phänomen weiß?“
Mit dieser Enthüllung konnte er sich nicht mehr zurück halten. Er hastete die letzten wenigen Meter auf den Pfosten zu der an einer der Ecken des Labyrinths aufgestellt war. An dieser Stelle war die Decke bereits von einer Vielzahl von abgeknickten Ästen und zertrennen Blättern geschmückt. Es war eindeutig nicht das erste Mal das er sie erklomm'.
„Ich würde doch niemals Daten klauen. Ich nutze vielleicht manchmal meine Position aus um sie mir anzueignen, aber ich gebe sie nicht als meine eigenen Ergebnisse aus. Das Militär hat damit nichts zu tun. Wir haben die Manuskripte privat eingereicht. Derzeit werden sie in der Miskatonic University überprüft.” Er befestigte zwei Massbänder knapp unter dem Drahtseil. Im oberen Teil des Pfosten waren zwei passgenaue Harken dafür angebracht.“Erinnerst du dich daran als wir zusammen hier waren? Seitdem habe ich darüber gegrübelt welchen Zweck ein Blumen Labyrinth wohl erfüllen könnte. Bei meiner Recherche habe ich Gerüchte gehört. Ziemlich interessante Gerüchte. Aber bisher hat niemand ihre Echtheit überprüft.” Immer noch außer sich vor lauter Vorfreude streckte er Jason sein Hand entgegen um ihn auf die Hecke zu helfen. Seit ihrer Versöhnung hatten sie viel aufarbeiten müssen, sodass Jaik bisher keine Zeit gehabt hatte ihm seine Entdeckung mit ihm zu teilen. Er wollte nicht nur laute Reden schwingen, sondern das Phänomen direkt präsentieren. Nun war der Zeitpunkt dazu endlich gekommen.

Jaik grinste über die Schulter hinweg zu Jason hinüber, der ihn nur weiterhin ungläubig anschauen konnte. Vor allem als Jaik rhetorisch fragte, woher er wohl vom Hietala-Hoffman-Phänomen wusste. Jason stutzte etwas. War dieses Projekt jetzt ein echtes Forschungsprojekt des Militärs, wobei sich die Frage stellte, ob Jaik den Namen nur erfunden hatte und sich selbst die Lorbeeren reservierte oder wirklich daran arbeitete ODER war das ganze lediglich ein Hobby-Projekt, das Jaik mit irgendjemandem mit dem Namen Hietala gestartet hatte? Jason blieb skeptisch, folgte Jaik allerdings zu einem der Pfosten. Jaik sprach weiter und so langsam wurde klar, dass es sich bei der ganzen Sache wirklich um ein Hobby-Projekt handelte, selbst wenn Jaik die Daten bereits an eine Uni geschickt hatte. Jasons Skepsis wuchs und wuchs. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass dieses Gebilde hier irgendwelche besonderen Phänomene aufzeichnen könnte. Da er Jaik vor allem in Verbindung mit Luft- und Raumfahrt kannte, fiel es ihm schwer diese beiden Dinge zusammen zu bringen. Besonders wild wurde es, als Jaik dann auch noch erwähnte, dass er sich aufgrund einiger Gerüchte auf dieses Projekt gestürzt hatte. Deswegen zögerte Jason einen Augenblick, als Jaik ihm die Hand bot, um ihm hoch zu helfen.
"Ich dachte das Ganze war eher ein Witz. Das Labyrinth sollte doch vor allem der Dekoration dienen, so wie alle Gewächse und Brunnen im Park.", meinte Jason und stieg zu Jaik hoch, "Oder nicht? Das ist doch hoffentlich nicht so eine Art von Experiment, in dem am Ende steht, dass es die Illuminaten oder Freimaurer waren, um die Menschen heimlich zu beeinflussen oder?"

Jason ließ sich von Jaiks geheimnisvollen Gerede nicht beeindrucken. Er wollte Beweise. Nun wurde es wirklich schwer ihm nicht vor den Augen aller Spaziergänger einen stürmischen Kuss auf die Lippen zu drücken. In diesem Augenblick liebte Jaik Jasons Zweifel. Er kam nur schwer mit Menschen zurecht die wissenschaftliche Daten hinnahmen ohne sie vorher zu überprüfen.
Er lachte als Jason annahm dass das Labyrinth nur als Dekoration gedacht war. „Das haben die meisten die ich gefragt habe auch vermutet. Aber nein, es erfüllt einen höheren Zweck. Da steckt keine Geheimorganisation hinter, dafür ist alleine das Universum verantwortlich.“ ,schwärmte Jaik. Er zog einen Winkelmesser aus seiner Tasche und hielt ihn in den Zwischenraum der an diesem Pfosten befestigten Drähte. „90 Grad.“ ,verkündete er. „Du bleibst hier und behältst die Maßbänder im Blick!“ Er nahm das Ende von einem Maßband, der Griff blieb am Pfosten, und sprang von der Hecke herunter. Seine Sprunggelenke schienen keinerlei Probleme damit zu haben einen Sprung auf zwei Metern Höhe abzufedern, denn gleich darauf sprintete er zum nächsten Pfosten der sich ebenfalls am Rand der Hecke befand. Er markierte jedoch nicht eine weitere Ecke sondern einen Punkt wenige Meter davor. Mit dem Anfang des Maßbandes zwischen den Zähnen kletterte er auch zu diesem Pfosten. Dort befestigte er das Maßband erneut. Danach maß er den Winkel dieser Drahtseile. Der eine führte zu dem einzigen Pfosten der im Labyrinth stand.
„90 Grad, 10 Meter“ ,verkündete Jaik laut damit Jason ihn am anderen Pfosten hörte. Er hechtete erneut nach unten, sammelte den Anfang des anderen Maßbands ein und wiederholte das Prozedere beim vierten und letzten Pfosten der ebenfalls am Rand des Labyrinths stand, allerdings an der anderen Seite. „90 Grad, 10 Meter.“ ,maß er auch hier.
„Soweit so unspektakulär.“ ,berichtete er als er zu Jason zurück kletterte. „Wir sind uns also einig das die Pfosten ein gleichschenkliges Quadrat markieren und das die beiden Drähte deswegen auch 10 Meter lang sein müssen?“ Er wies auf die beiden Seile die zum Pfosten im Labyrinth hinführen. „Komm wir überprüfen es!“ Und schon war Jaik wieder von der Hecke herunter gesprungen. Er hob die Arme und bot Jason an ihn aufzufangen.

Jaik lachte, als Jason davon sprach, dass das Labyrinth doch wohl als Dekoration angedacht war. Das Lachen und das Gebilde hier hieß also, dass es definitiv nicht nur als Dekoration hier stand. Jason blieb allerdings weiterhin skeptisch. Interessiert, aber immer noch nicht überzeugt, verfolgte er Jaiks folgende Aktion mit den Augen, während er weiterhin am ersten Pfosten stehen blieb. Jaiks Messungen kamen Jason wie die trivialste Mathematik vor, aber er wusste aus seinem Studium, dass manchmal sehr triviale Dinge zu grandiosen Erkenntnissen führen konnten, wenn man es weiter dachte. Daher blieb sein Interesse auch weiterhin.
"Ja, wenn die Winkel alle 90 Grad sind schon. Theoretisch.", bestätigte Jason Jaiks Annahme, während dieser wieder zu ihm nach oben kletterte, "Was aber wahrscheinlich nicht so ist, richtig?"
Langsam dämmerte Jason, dass das hier kein simples Physikexperiment war, in dem man auf Schulniveau nachwies, dass Wasser kondensierte oder sowas in der Richtung. Wenn Jasons Vermutung richtig war, standen sie hier allerdings an einem nicht ganz ungefährlichen Ort. Zumindest, wenn es das war, was Jason dachte. Dann wäre allerdings wiederum die Frage, warum das erst Jaik entdeckt hatte und nicht schon vorher jemand.

Ungeduldig und beinahe Gesichtskrämpfe bekommend vor lauter Grinsen zupfte er an Jason Oberschenkeln um ihn endlich von der Hecke zu bekommen. „Haargenau! So sollte es sein.“ Kurzentschlossen zog er Jason einfach von der Hecke herunter in seine Arme. Alles bis auf das Glühwürmchen und das Labyrinth hatte er bereits vergessen. Seine Außenwelt war ihm inzwischen so egal, das er Jason an seiner Hand nahm und ihn zu einem der anderen Pfosten am Rand zog. Auch hier musste die Hecke wieder leiden. Oben angekommen zog Jaik eine massige Teleskopstange aus seinem Rucksack, die er speziell für diesen Zweck angeschafft hatte. Er hätte ein Lasermessgerät nehmen können, aber das hatte einfach nicht den gleichen Effekt wie ein festes Längenmaß. Stück für Stück strebte die Spitze der Stange den Pfosten im Labyrinth entgegen, bis sich sich schließlich nicht weiter ausfahren ließ. Das Ende markierte 10 Meter, die Spitze war allerdings noch knapp einen Meter von dem Pfosten entfernt. „Ist es aber nicht.“ ,jubelte Jaik. Nun packte er ein Lasermessgerät aus und ließ die nun leere Tasche zu Boden segeln. Er peilte die beiden Enden des Seils an und präsentierte Jason das Ergebnis als hätte er gerade die Weltformel gefunden und wäre auf dem Weg nach Stockholm um den Nobelpreis entgegen zu nehmen. „1087 cm! Letzte Woche waren es 1065 cm. Es wird schon lange vermutet dass das Labyrinth von innen größer ist als von außen. Aber nachweisen konnte das bisher niemand. Es ist eine Raumfalte. Ein überbestimmtes System! Deswegen können Geoinformationssystem es nicht erfassen und unsere Radare versagen in der Nähe. Darum  ist es so schwer nachzuweisen. Aber nun haben wir einen Fixpunkt mit dem wir arbeiten können. Einen der außerhalb und innerhalb der Raumfalte existiert. Damit können wir vielleicht sogar eines Tages eine Regelmäßigkeit in den Veränderungen erkennen. Es wird garantiert noch Jahrzehnte dauern bis wir so viele Daten gesammelt haben das sich eine Ordnung heraus kristallisiert, aber dann werden die Portale berechenbar sein! Wir rechnen dann über den vierten Raum hinaus!“ Eine Sensation würde es natürlich erst werden das Ergebnis da war, aber das störte Jaik nicht. Er war fest davon überzeugt das es irgendwann dazu kommen würde.

So langsam begann Jaik richtig ungeduldig zu werden. Er konnte es gar nicht erwarten bis Jason zu ihm herunter gestiegen kam, sondern zerrte ihn von der Hecke herunter und fing ihn auf, um ihn dann zu einem anderen Pfosten am Rand zu ziehen. Jason warf kurz einen Blick über die Schulter, um zu überprüfen, dass sie niemand sah. Bestimmten wirkten sie auf einen Außenstehenden wie zwei Verrückte, wie sie so zwischen den Pfosten mit Drahtseilen hin und her wuselten. Jasons Gesichtsausdruck blieb skeptisch, während Jaik ihn zum Pfosten hoch zog und eine Teleskopstange zückte, um den Abstand zum vierten Pfosten zu messen, der im Labyrinth lag.
Jasons Augen wurden groß und seine Stirn warf fast schon entrüstete Falten, als die Stange endete und Jaik erwähnte, dass eine Messung ergeben hatte, dass es über zehn Meter waren und dass der Abstand sogar von Woche zu Woche wuchs. Daraufhin wurden Jasons Augen schmal und er fixierte mit fast schon bösem Blick den Pfosten in der Mitte. Eine Weile ließ Jason Jaik noch reden, ehe es ihn buchstäblich zerriss.
"Das glaube ich erst, wenn ich es selbst gesehen habe.", entfuhr es Jason und kurzerhand riss er Jaiks Messinstrumente an sich.
Zuerst zückte er den Winkel und bestätigte die 90 Grad im Eck. Die Teleskopstange war Jason allerdings zu ungenau, weshalb er lieber das Maßband nahm und dann seine Flügel hervor zauberte, um selbst von Pfosten zu Pfosten zu fliegen und immer wieder das Maßband zu spannen. Erst zwischen den äußeren zwei Drahtseilen und dann von den äußeren Pfosten zu dem in der Mitte. Er zog sogar mehrmals am Maßband, um es möglichst straff zu bekommen, aber egal wie oft er von außen nach innen ins Labyrinth den Abstand maß, es wurde nicht weniger.
"Was zur Hölle?", rief er schließlich vom Pfosten in der Mitte zu Jaik hinüber und musste akzeptieren, dass wohl doch kein Messfehler vorlag.
Einen kurzen Moment stand Jason mit dem Maßband in der Hand fassungslos auf dem Pfosten in der Mitte und schaute starr auf das gespannte Drahtseil zu Jaiks Pfosten hinüber. Schließlich hob er den Blick wieder, blinzelte perplex und schüttelte ungläubig den Kopf, ehe er seine Flügel nutzte, um wieder zu Jaik hinüber zu fliegen.
"Vergiss, was ich gesagt habe. Die Messung ist korrekt.", murmelte er etwas in Gedanken und starrte nun hinüber zum Pfosten in der Mitte, während seine Flügel wieder verschwanden, "Aber man sieht es nicht oder?"
Jason entfernte sich von Jaik, um das in die Mitte gespannte Drahtseil von einem anderen Winkel aus zu betrachten. Doch egal wie weit er sich weg bewegte, für sein menschliches Auge wirkten die gespannten Drahtseile alle gleich lang und sein optischer Sinn bestätigte ihm auch, dass es sich um ein Quadrat handelte. Am Ende stand Jason wieder neben Jaik. Sein Gesicht verriet, dass er sehr angestrengt nachdachte.
"Rein hypothetisch: Wenn das so weiter geht, haben wir dann in einhundert Jahren oder so ein schwarzes Loch hier oder wie äußert sich die Veränderung dann? Ich meine, wenn ich da drin stehe, sieht alles normal aus, aber tatsächlich befinde ich mich technisch gesehen viel weiter weg?", fragte Jason und schaute nun verwirrt zu Jaik, "Der Raum ist gekrümmt, also auch das gespannte Maßband, aber ich sehe den Unterschied nicht?"

Noch immer war Jason nicht zufrieden und machte Jaik damit ziemlich glücklich. Bereitwillig übergab er ihm seine Instrumente. Bald darauf wurde die Nacht von einem hellen Leuchten erstrahlt und Jaik bekam vor Stauen kaum den Mund zu. Er hatte Jasons Flügel noch nie im Einsatz erlebt. Eindrucksvoller als eine Spitfire die der Wolkendecke entgegen strebte, schwebte er dahin und überprüfte Jaiks Arbeit mit kritischen Blick. Dieser Eifer, diese Sorgfalt und diese majestätischen Schwingen sorgten dafür das dem Flight Lieutenant ein ehrfürchtiges Seufzen entwich. Jason wurde sogar richtig wütend. Er war so leidenschaftlich. Der Pilot konnte an seinem Blick beobachten wie er vor dem Phänomen kapitulierte, akzeptierte das sein bisheriges Wissen nicht ausreichte und seinen Geist öffnete. Jaik stützte seinen Arm auf die Spitze des Pfostens und bettete sein Kinn darauf. Selig lächelnd ließ er sich nicht einen Moment entgehen. Erst vor ein paar Wochen hatte er den Holzpfahl aufgestellt um sich von diesem Wesen abzulenken. Wie naiv er doch gewesen war. Wie sollte er jemals das Wesen vergessen das alles was ihn faszinierte personifizierte?
Als Jason zu ihm zurück kehrte hätte Jaik ihn beinahe am Kragen gepackt um ihn mit seinen Lippen an sich zu fesseln und sich von ihm mitziehen zu lassen. Am besten für immer. Oder zumindest für einen Moment. Jason schien aber überhaupt nicht auf eine Knutscherei weit über der Stadt aus zu sein. Er war aufgebracht. Aufgebracht, weil er an die Grenzen seines räumlichen Vorstellungsvermögen gekommen war. Jaiks selbstzufriedenes Grinsen kehrte zurück. Er hatte sein Ziel erreicht. Er hatte Jason verblüfft. Eine angenehme Überraschung, schließlich war Jaik sonst derjenige der von Jason mit neuen Erkenntnissen verzaubert wurde.
„Nein, ich denke nicht das genug Masse für ein schwarzes Loch da wäre. Außerdem expandiert die Länge nicht nur. Sie verringert sich auch manchmal. Bisher war kein Muster zu erkennen.“ Er zupfte an Jasons Ärmel um ihn dazu aufzufordern sich neben ihn auf die Hecke zu setzen. „Diese Raumfalten existieren nicht erst seit kurzem. Zumindest diese nicht. Cadysa war schon immer schwer geografisch zu erfassen und taucht deswegen auf vielen Karten nicht auf. Torch hat es vor siebzig Jahren in diese Zeit katapultiert. Wahrscheinlich hat irgendjemand vor einigen Jahrzehnten diese Falte hier entdeckt und wollte sie durch das Labyrinth darstellen, oder er wollte einfach nur die Besucher verwirren. Es ist ihm auf alle Fälle gelungen. Du siehst es nicht weil der Raum nicht geknickt ist, er ist gebogen. Es gibt keinen abrupten Übergang. Zumindest nicht hier.
Was auch immer hier los ist, wir haben noch keinen Grund anzunehmen das es instabiler wird. Aber vielleicht fangen wir jetzt an es zu verstehen.“ Diese ganzen ungeklärten Fragen brachten Jaik nicht an den Rand der Verzweiflung, so wie einige Mathematiker. Sie waren dabei sich ein neues Feld zu erschließen. Sie waren Pioniere. Es gab noch so viel zu lernen. „So verblüfft wie du gerade bist, war Newton wahrscheinlich auch als ihm ein Apfel die Existenz von Gravitation vor Augen geführt hat.“

Als Jason zu Jaik hinüber schaute, erkannte er, dass sein Freund vor Freude breit grinste. Erst jetzt wurde Jason bewusst, dass er sich gerade wohl ähnlich wie Jaik verhalten hatte und deswegen wohl seine Sympathie geweckt hatte. Jason setzte sich nach einer kurzen Aufforderung von Jaiks Seite zu ihm auf die Hecke und hörte dann seinen Ausführungen zu. Wie es schien war das hier nicht irgendein kleines Hobbyprojekt ohne größere Bedeutung, sondern die Erforschung eines durchaus nicht unwichtigen Phänomens hier in Cadysa. Jason wirkte nachdenklich, während Jaik weiter sprach. Er versuchte sich vorzustellen, was das Ganze wirklich zu bedeuten hatte. Sehr bewandert war Jason nicht in Physik, doch ein klein wenig hatte er sich schon über sowas wie Schwarze Löcher und Wurmlöcher informiert, seit Jaik mal angedeutet hatte, dass das Schiff möglicherweise solche Technologie nutzen würde, um schnell von A nach B zu kommen.
Nachdenklich kratzte sich Jason am Hinterkopf und ließ seinen Blick nachdenklich und ein wenig positiv überfragt über das Labyrinth wandern. Jaik schien dieser Blick nicht entgangen zu sein, denn im nächsten Moment verglich er Jason mit dem berühmtesten Physiker schlechthin, was Jason allerdings nur etwas verächtlich auflachen ließ.
"Ich glaube ich bin noch sehr weit von Newton entfernt.", meinte Jason und lachte nochmal leicht, "Ich komme mir eher vor wie Archimedes, der so etwas simples erst jetzt begreift. Außerdem nur mit Hilfe! Wenn einer hier Newton ist, dann du."

„Truth is ever to be found in the simplicity, and not in the multiplicity and confusion of things.“ ,zitierte Jaik grinsend den englischen Physiker, mit dem Jason ihn verglich. Er selbst konnte dem allerdings nicht beipflichten. Schließlich immer noch eine bahnbrechende Entdeckung von Newtons Position in der Geschichte der Wissenschaft entfernt. Jonne und er hatten gerade einmal an der Oberfläche gekratzt.
„Ist die Erkenntnis das Objekte sich immer dem Erdmittelpunkt nähern nicht simpel? Als Newton mit seiner Forschung begann waren Atome nur eine schwammige Theorie. Ihre Existenz konnte erst zwei Jahrhunderte später von Einstein bewiesen werden. Heutzutage weiß jeder Highschool Absolvent mehr, als Newton zu seinem Todeszeitpunkt. Irgendwann wird jeder Sechszehnjährige Raumkrümmungen berechnen können und sich wundern weshalb wir so lange gebraucht haben um sie zu entschlüsseln. Uns fehlt noch jegliche Erkenntnis, aber zumindest haben wir jetzt erste Daten. Wir haben ein Fundament für eine Erkenntnis. Ich bin mir sicher dass das hier der Anfang von etwas ganz Großem ist. Ein weiterer Schritt bei der Entschlüsselung des Universums.“
Jaik legte seinen Arm um Jason und drückte ihn fest an seine Seite. Er hoffte das es eine Aktivität war der auch Freunde nachgingen und das er Jason damit nicht in Bedrängnis brachte. Sanft strichen Jaiks Finger über seinen Rücken. Die mächtigen Schwingen immer noch klar vor Augen.
„Bei der Miskatonic University waren sie übrigens nicht allzu begeistert von unserer Entdeckung.“ ,gluckste Jaik mit sichtlicher Schadenfreude. „Schließlich haben wir Werte geliefert die in jeder anwendbaren Gleichung zu Widersprüchen führen. Das System in dem sie Sinn ergeben muss erst einmal gefunden werden. Auch Jonne, mein Partner, war eher frustriert als begeistert. Ich denke das liegt aber daran das sein Gehirn im Allgemeinen zurzeit mit den Dopaminen geizt. Der psychopathische Ex-Freund seiner Freundin scheint Stress zu machen. Das setzt ihm wohl ziemlich zu.“ Jaik zuckte überfragt mit den Schultern. Genau zugehört hatte er nicht. Schon die wenigen gemurmelten Andeutungen hatten gereicht um zu wissen das er für dieses Gespräch nicht qualifiziert war und deswegen schnell eine Ablenkung gefunden werden musste um die äStimmung des Ingenieurs zu verbessern. Er konnte stolz behaupten das ihm das gelungen war, immerhin hatten sie dabei eine naturwissenschaftliche Revolution eingeleitet! „Wenn wir erste Ergebnisse haben freut er sich bestimmt.“ ,zeigte der junge Pilot sich weiterhin zuversichtlich.

Jaik entgegnete, dass Newtons Erkenntnis eigentlich genauso trivial war, wenn man es so fortsetzte vielleicht sogar die Erkenntnis über die Zusammensetzung allen Lebens aus Atomen. Der rasante Anstieg an Wissensbeständen beim Menschen war wohl einer der Faktoren, weshalb man Menschen wie Jaik tatsächlich nicht mehr als Genie bezeichnete, obwohl sie es nach alten Verhältnissen durchaus wären. Bestimmt würde man ihn in ein paar Jahrzehnten sogar für vollkommen durchschnittlich erachten. Zwar wollte Jason nicht daran denken, aber tatsächlich hatten sie eigentlich sogar vor andere Planeten zu bereisen und dort gab es eventuell durchaus Wesen, die einen menschlichen Verstand als völlig rückständig ansehen würden.
Allerdings schaffte Jaik es gekonnt Jason von diesen Gedanken abzubringen, indem er einfach seinen Arm um ihn legte und ihn an sich heran zog. Erst freute sich Jason, doch dann kamen ihm Zweifel auf und schnell huschte sein Blick umher, um zu überprüfen, ob sie für einen Moment ungesehen waren. Währenddessen sprach Jaik weiter über das weitere Prozedere was ihr Experiment anging. Jason hörte ehrlich gesagt nur mit halbem Ohr hin, denn er wartete ungeduldig darauf, dass diese eine blöde Joggerin endlich um die Ecke bog und sie zumindest für eine Minute ungesehen waren. Endlich verschwand sie und sofort wandte sich Jason mit einem freudigen Lächeln auf den Lippen zu Jaik um. Dann hielt er jedoch mitten in der Bewegung inne und sein Lächeln verschwand.
"Moment mal, hast du gerade gesagt dein Partner heißt Jonne?", fragte Jason und starrte Jaik mit großen Augen an, während ihm langsam etwas dämmerte, "Doch nicht etwa DER Jonne? Ja, du hast gesagt Hietala-Hoffman-Phänomen, das heißt wir reden hier wirklich von Jonne Hietala, dem Drecksack!"
Jason war beim letzten Satz tatsächlich sogar etwas lauter geworden, stutzte dann aber und räusperte sich, um zu zeigen, dass er wieder versuchte sich zu fangen.
"Entschuldige, das... ehrlich gesagt kenne ich den Kerl gar nicht persönlich. Ich weiß nur von jemandem, dem er das Herz gebrochen hat und der mir dann immer von seinen kleinen Racheaktionen erzählte.", grummelte Jason und ließ seine Hoffnung auf einen kurzen Kuss von Jaik endgültig verpuffen.

Schnell intensivierte Jaik seine Streicheleinheiten. Das hatte Jason schon einige Male beruhigt wenn er aufgebracht war. In großen Kreisen wanderten seine Finger über seinen Rücken. Jasons Gesichtsausdruck konnte Jaik allerdings nur kopieren. Skeptisch wanderte seine Augenbraue gen Stratosphäre. Jason kannte also Jonne. Das war an sich nichts ungewöhnliches, aber das er ihn als Drecksack betitelte war schon ein wenig seltsam. Jonne war schließlich stets damit beschäftigt den Ärger zu bereinigen den andere verursacht hat. Wann sollte er da noch die Zeit haben selbst welchen zu fabrizieren? Wer außer ein paar durchgeknallter Hippies sollte ihn schon als Drecksack bezeichnen?
„Redest du von der Geschichte mit dem bekloppten Cyborg?“ Nun bereute Jaik es doch, dass er jedes Mal aufhörte zuzuhören wenn Jonne zwei Sätze ohne wissenschaftlichen Inhalt an ihn richtete. Deswegen konnte er sich nur wage an die von Jason erwähnten Geschichten erinnern. Zeit um ihn seinen Erinnerungen zu graben hatte er keine, eine andere Erkenntnis schockierte ihn nämlich viel mehr. „Du kennst ihn? Kannst du ihm bitte sagen das er unter Verdacht steht in militärisches Gebäude eingebrochen zu sein um Salz und Zucker zu vertauschen? Das war nämlich wirklich nervig.“
Jonne war nicht das einzige Opfer dieser Racheaktionen. Auch Jaik hatte schon Büschel verbrannten Rasens in seinem Briefkasten gefunden. Von dem was Gwen regelmäßig ertragen musste fing er am besten gar nicht erst an. Wieso wechselte Jason mit jemanden der seine Zeit und Kreativität so verschwendete mehr Sätze als nötig?
„Seid...seid ihr befreundet?“ ,fragte Jaik vorsichtig nach. Vielleicht hatte der Cyborg Jason irgendwann das Leben gerettet. Das wäre zumindest die einzig sinnige Erklärung die ihm einfiel. Dann könnte Jaik Jason von seiner Schuld erlösen indem er von einer Anzeige wegen einer verzuckerten Mittagspause absah.

Jasons Kinnlade klappte herunter, als er Jaiks Bestätigung seines Verdachts hörte. Es war weniger Schock, es war das sekundenschnelle Verschwinden jeglicher positiven Gefühle aus Jasons Körper. Zurück blieben so tief hängende Mundwinkel und so ein angesäuerter Blick, dass er wie ein anderer Mensch wirkte. Jaiks Nachfragen und Verdacht seinerseits machte das nicht gerade besser. Es erinnerte Jason eher daran, dass es tatsächlich solche Zeiten gab, die er allerdings am liebsten vergessen wollte. Auf einmal war es ihm unfassbar unangenehm von Jaik berührt zu werden und er wand sich aus seiner Umarmung, um ein paar Zentimeter Abstand zu gewinnen.
"Nicht mehr.", grummelte Jason fast schon wütend und strafte den Pfosten in der Mitte des Labyrinths stellvertretend mit tödlichen Blicken, "Nachdem er mir sagen musste, dass er mit einem der wohl reichsten und begehrtesten Junggesellen von Cadysa Vorlieb genommen hatte, wollte ich nichts mehr mit ihm zu tun haben. Jetzt, wo ich darüber nachdenke, müsste ich eigentlich auf Jonnes Seite sein. Scheiß egal, was er ihm getan hat, aber irgendwie wünsche ich mir es hat richtig weh getan. Ich bin nicht rachsüchtig, aber mir ging es danach unfassbar dreckig und dafür würde ich ihn am liebsten irgendwie büßen lassen."