Tyka's Zimmer

Die Sache mit dem rosa Rüschenkleid schien sie mehr zu amüsieren, als sie zugeben wollte und das freute mich. Tyka schien kein Mensch zu sein, der viel lachte oder sich freute. Aber vielleicht konnten wir das in Zukunft ja ändern. Ich konnte ein ganz schöner Pausenclown sein, wenn ich es wollte und wenn ich mich zum Affen machen musste, damit sie lachen konnte, war das vollkommen ok. Sowas machten Freunde schließlich für einen. Naja gut, ich hatte nie solche Freunde gehabt, die einen versuchten aufzumuntern, wenn es einem schlecht ging. Aber in der Beziehung hatte ich wohl ein Helfersyndrom, daran konnte man auch nichts ändern.

Eigentlich war es schade, dass sie im nächsten Moment gleich wieder einen traurigen Gesichtsausdruck bekam. Auf meine Frage hin, ob alles ok sei, log sie natürlich, aber ich war nicht blind. Es war schade, dass sie nicht zugeben konnte, wenn es ihr nicht gut ging oder sie halt ganz einfach traurig war oder glaubte sie etwa ich würde sie deswegen auslachen? Ich versuchte ihr klarzumachen, dass ich schon verstanden hatte, dass sie mich anlog, in dem ich sie damit konfrontierte, was ich gesehen hatte. "Ich meine ja nur. Du sahst gerade traurig aus." Zumindest wusste sie jetzt, dass ich keine Tomaten auf den Augen hatte. Ich war äußerst Aufmerksam, was das Deuten von Mimiken und Gesichtsausdrücken anging. Noch so eine Sache, die ich auf der Straße gelernt hatte, unter anderem da man sie in den Kämpfen ganz gut brauchen konnte. Es war nie verkehrt, wenn man zumindest erahnen konnte, ob der Gegner nun verwirrt, angriffslustig oder überrumpelt war. Das wiederum ließ den nächsten Zug erahnen und man konnte rechtzeitig dagegen agieren.

Auf ihren Vater reagierte sie äußerst gereizt, weshalb ich beschloss, das Thema lieber ruhen zu lassen. Manchmal hatte ich allerdings das Gefühl, dass Tyka nicht wirklich wusste, was sie wollte, oder sie wollte es nicht zeigen. Gerade im Bezug auf das Erlernen eines Instrumentes. Erst klang sie traurig, weil sie keine konnte, dann bot man ihr an mit ihr gemeinsam eines zu erlernen, damit sie nicht alleine war und dann lehnte sie ab. "Falls du es dir anders überlegst, sag einfach Bescheid", erneuerte ich mein Angebot nochmals und beließ es dann dabei. Sie war ja schließlich alt genug, um zu entscheiden, was sie wollte und was nicht.

Das Gespräch schwankte schließlich in eine Richtung, welche mir gefiel. Sie wollte mir also zeigen wo es lang ging? Ich fragte mich für einen Moment, ob das nur nur Gehabe war oder ob sie wirklich gegen mich angetreten wäre. "Pass auf, was du sagst, sonst fordere ich dich zum Duell heraus", meinte ich neckend, aber auch sehr liebevoll. Niemals hätte ich mich wirklich mit einer Frau duelliert oder dieser gar weh getan. Dafür war ich dann doch viel zu sehr Gentleman.

Meine aufmunternd gemeinte Berührung barg für mich dann allerdings eine Überraschung. Denn kaum lag meine Hand auf ihrer Schulter, durchfuhr mich ein Stromschlag. Völlig verdutzt wich ich hastig zurück und landete dabei auf meinem Hinterteil. Ok, es war natürlich kein großer Fall wenn man eh schon auf dem Boden saß bzw. kniete in dieser Situation. Ich hatte mich so erschrocken, dass ich auch ein rücklings ein Stück von ihr weg gekrochen war. Sie blickte mich etwas verstört an und fragte vorsichtig nach, ob alles ok sei.

Gut, dass bedeutete sie wusste also, was passiert war. Sie hatte irgendwelche vielleicht magischen Fähigkeiten, die ihr bekannt waren. Die Frage war jetzt nur, ob sie es mit Absicht getan hatte oder ob es einfach so passiert war. Natürlich hatte sie mir nicht weh getan oder mich gar ernsthaft verletzt. Es war nur ein kurzer Stromschlag gewesen, der meinen Körper durchzuckt hatte, ähnlich als wenn man einen Stromdraht berührt, der eine Viehweide einzäunte. Meine Reaktion kam auch nicht von Schmerz oder so, ich hatte mich nur tierisch erschrocken.

Vorsichtig setzte ich mich wieder gerade auf und rückte auch wieder näher zu ihr, begab mich praktisch in meine alte Position zurück. "Es ist alles in Ordnung. Ich habe mich nur erschrocken", versuchte ich ihr die Angst zu nehmen, dass sie mich vielleicht ernsthaft verletzt hätte. "Aber, sag mal, war das gerade Magie oder sowas? Kein Mensch kann so einfach Strom in sich erzeugen." Das war wohl die Feststellung des Tages, zumindest brachte sie einen weiteren Gedankengang ins Rollen. "Oder bist du gar kein Mensch, sondern ein anderes Wesen?" Ich stellte die Frage äußerst vorsichtig, sie sollte nicht abwertend klingen, es war reine Neugier. Und es war mir auch egal, wie die Antwort ausfallen würde.

Tyka schien ein ausgeprägtes Problem damit zu haben, Dinge zuzugeben. Wie bereits erwähnt hatte ich keine Tomaten auf den Augen und ich fragte mich wirklich warum sie ein Problem damit hatte ihre Emotionen oder Gefühle vor mir zu zeigen. Wahrscheinlich lag es daran, dass sie mich noch immer nicht als einen Freund sah, sondern eher als irgendein dahergelaufener Fatzke, der gerade ihr Nervenkostüm strapazierte. Aber ich war ein verdammt harter Brocken, an dem sie sich die Zähne ausbeißen würde, wenn es darum ging mich loszuwerden.
"Es mag sein, dass ich mir manchmal Dinge einbilde, aber ich bin sehr gut im Lesen von Mimiken", gab ich deshalb zurück. Auf ihre nächste Aussage hin, reagierte ich nicht sofort, natürlich wusste ich, was man tun konnte, wenn jemand traurig war, da sie aber gerade auf das angesprochene Duell einging, stellte ich meine Antwort vorerst zurück.

"Es mag sein, dass du mir wehtun könntest...", ich senkte den Kopf ein wenig, bevor ich weitersprach, "... aber niemals würde ich meine Hand oder mein Schwert gegen ein weibliches Wesen erheben. Das gehört sich einfach nicht", gab ich zurück, was ihr Frage damit eigentlich beantworten dürfte.

Nachdem ich beteuerte, dass bei mir nach dem kurzen Stromschlag alles in Ordnung sei, schien sie ein wenig erleichtert zu sein. Sie beantwortete mir sogar meine Frage zu ihren Fähigkeiten und gab offen zu, dass sie diese wohl nicht ganz unter Kontrolle hatte. Als sie dann auch noch meinte, es täte ihr Leid, schüttelte ich den Kopf. "Es muss dir nicht leid tun, das ist ok, mir ist nichts passiert." Ich konnte mir schon vorstellen, dass es schwierig sein würde, solche Fähigkeiten immer und überall unter Kontrolle zu haben, genauso schwierig war es ja auch seine Emotionen ständig im Griff zu haben. Ob das wirklich vergleichbar war, wusste ich nicht, aber so in etwa konnte ich es mir vorstellen.

"Dann muss ich dich wohl in Zukunft öfter erschrecken, vielleicht lernst du dann deine Fähigkeiten besser zu kontrollieren. Auch auf die Gefahr hin, dass du dann aus mir ein Brathähnchen machst", witzelte ich, meinte es aber eigentlich durchaus ernst. So ein paar leichte Stromschläge würde ich schon überleben, solange sie nicht zu heftig wurden. Wobei ich nicht wusste bis zu welcher Voltzahl ein menschlicher Körper Strom aushielt und natürlich konnte ich auch Tykas Fähigkeiten nicht einschätzen.

Ich fand es war an der Zeit nun auf ihre Frage von vorhin einzugehen. "Du meintest eben, dass du nicht wüsstest, was ich tun könnte, falls du mal traurig sein solltest. Mir würde da allerdings so einiges einfallen." Ich hob meinen Kopf und sah sie mit festem Blick an, der meine Entschlossenheit zeigen sollte. "Ich könnte dir zum Beispiel blöde Witze erzählen, bis dass du wieder lachst. Oder ich könnte versuchen dich aufzumuntern. Oder ich könnte dich einfach in den Arm nehmen und warten bis die Traurigkeit verflogen ist. Für sowas sind Freunde schließlich da." Sie hatte mir jetzt oft genug gesagt, dass sie keine Freunde brauchte und dennoch schien sie mich nicht zu hassen, vielleicht sogar ein wenig zu mögen und vielleicht würde sie mich irgendwann ja auch als einen Freund akzeptieren. Die Basis dafür war jedenfalls da.

Noch immer beteuerte sie natürlich, dass da nichts war und dieses Mal beließ ich es dabei. Vielleicht schaffte sie es irgendwann sich ihre Gefühle einzugestehen und vielleicht würde sie auch irgendwann die Hilfe eines Freundes suchen, wenn es ihr mal nicht gut ging oder sie traurig war. Dann würde sie ja wissen, wohin sie gehen konnte.

Meine Erklärung, dass ich niemals die Hand oder das Schwert gegen ein weibliches Wesen erheben würde, hatte sie scheinbar nur zu gut verstanden und auch sofort die möglichen Konsequenzen daraus gezogen, die sie nun als Frage an mich formulierte. Ich nickte nur stumm auf ihre Frage hin und sah sie dann an. "Nein, ich würde mich nicht wehren, wenn du mich angreifen würdest..." Niemals. Auch wenn ich einen angeborenen Abwehrreflex hatte wie eigentlich fast jedes Wesen, so hatte ich diesen doch sehr gut unter Kontrolle und meine gute Erziehung verbot es mir, dass ich Mädchen schlug oder ihnen sonst anderweitig wehtat.

Natürlich machte sie mir wieder einmal klar, wie böse sie doch war und dass sie ihre Kräfte ohne auch nur mit der Wimper zu zucken gegen mich einsetzen würde und das mit voller Stärke. Ich grinste daraufhin nur schief, weil ich es ihr nicht abnahm. "Du legst es darauf an, dass ich experimentierfreudig werde und es ausprobiere", meinte ich spitz, lächelte dann aber wieder.

Und selbstverständlich war auch alles, was ein Freund für jemanden tun würde, dem es schlecht ging, ebenfalls unerwünscht, wenn nicht sogar verpöhnt. Nein, Madamme Tyka brauchte niemanden, das machte sie mal wieder mehr als deutlich. Vor allem als ich davon sprach sie in den Arm zu nehmen, um sie beispielsweise zu trösten, meinte sie, dass ich das nur einmal tun würde. Was sie damit meinte war mir mehr als sonnenklar. Es hieß nichts anderes als wie eben die Aussage, dass sie ihre Kräfte gegen mich einsetzen würde und da die Betonung hier auf "nur einmal" lag, wollte sie mir wohl klarmachen, dass ich bei dem Versuch sie zu umarmen wohl mit meinem Tod rechnen musste.

Es gab kurze Momente, wo ihre grobe Art mich schon traurig machte, was ich auch in diesem Moment in meinen Augen wiederspiegelte. Teilweise hatte ich wirklich das Gefühl gegen die berühmten Windmühlen zu kämpfen, aber aufgeben war nicht mein Ding und so schüttelte ich erneut, dieses Mal jedoch mit ernster Miene den Kopf. "Nein, ich glaube nicht, dass du mir absichtlich wehtun würdest, das hat deine Reaktion gerade eben bewiesen, als sich deine Kräfte mehr oder weniger selbstständig gemacht haben und wenn doch... dann hätte ich wohl Pech gehabt", beendete ich meine Aussage und sah sie dann musternd an.

Dieses doch sehr kleine, zierliche Wesen vor mir - auch wenn ein Halbdämon darin steckte - konnte mir nicht ernsthaft weißmachen, dass sie hier auf dieser Welt war, um Menschen zu töten. Dafür sah sie viel zu lieb aus und meiner Meinung nach war ihr Getue auch nur eine Fassade um sich vor Enttäuschungen und Rückschlägen zu schützen. Doch ich wäre nicht Eisuke, wenn ich nicht an das Gute im Menschen glauben würde.