Elaine
PP: Fußweg | Datum: 15.08. | Uhrzeit: 04:52 | Klare Nacht Elaine hatte wesentlich zu lange gebraucht, um nachhause zu kommen. Jedes Geräusch hatte sie zusammenzucken lassen und sie hatte sich versteckt. Nun hatte sie es endlich zum Wohnheim und die Treppe hinunter gemacht.
Noch einmal blickte sie sich um, dann schloss sie die Tür auf und huschte hinein. Kaum war die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen, gaben ihre Knie unter ihr nach.
Sie wollte weinen, aber sie konnte nicht mehr. Da war einfach eine Blockade da, seit die Vampirin ihr gesagt hatte, sie solle sich zusammenreißen. Ihr war immer noch kalt – ein unwirkliches Gefühl für jemanden, der keine Körperwärme mehr besaß.
Kaltblütig… Zumindest eine der Definitionen dieses Wortes traf auf Elaine zu; die andere hätte falscher nicht sein können. Noch immer sah sie das Gesicht des Jungen Mannes vor sich, zu einem letzten, stummen Schrei verzerrt und die Erinnerung jagte ihr Schauer über den Rücken.
Sie hatte ihn getötet. Sein Leben unwiderruflich beendet. Er war nicht mehr und das war allein ihre Schuld.
Elaine fühlte sich angeekelt von sich selbst. Dieses… Ding, in das sie Antoine verwandelt hatte… hatte sie überhaupt ein Recht auf Leben? Dass sie nicht mehr wirklich lebte, das hatte Elaine mittlerweile auch verstanden.
Ihr Leben war beendet worden, von einem alten, bösen Wesen, das nicht hatte nachvollziehen können, dass sie dem niemals zugestimmt hatte. Sie war beschmutzt und zerbrochen.
Und jetzt hatte sie, eine untote, beschmutzte, widerwertige Kreatur, die sich von dem Leben anderer nähren musste, das Leben eines jungen Mannes ausgelöscht, der einfach nur hatte leben wollen. Er hatte sie nicht bedroht, ihr nichts tun wollen…
Ohne es zu merken hatte Elaine die Schatten heraufbeschworen und so war ihre Stimme gedämpft, als sich ein markerschütternder Schrei den Weg aus ihrer Kehle heraus bahnte. Sie vergrub das Gesicht in ihren Händen, zitternd wie Espenlaub.
Als ihre Handballen ihr Kinn berührten, spürte sie die blutigen Krusten, die sich noch immer dort befanden. Das Blut klebte noch immer an ihrem Gesicht und ihren Händen und war nur eine weitere Erinnerung an ihre grausige Tat.
Elaine rappelte sich zittrig auf und stolperte zu ihrem Kleiderschrank. Sie schälte sich aus den Klamotten, die die andere Vampirin ihm gegeben hatte und atmete tief durch, während sie an sich herunterblickte. Ihr Körper war immer noch derselbe. Sie war immer noch dünn und feingliedrig. Es schien fast schon unmöglich, dass ein dünnes Ding wie sie einen erwachsenen Mann ohne Zuhilfenahme irgendwelcher Waffen hätte umbringen können. Aber sie hatte es getan und sie konnte ihre Tat nicht ungeschehen machen.
Immer noch wie in Zeitlupe wankte Elaine ins Bad. Sie schloss die Tür hinter sich ab und stieg in die Dusche. Die Vampirin drehte das Wasser auf, schloss die Augen und hob den Kopf, um sich die heißen Tropfen ins Gesicht prasseln zu lassen.
Für ein paar Minuten stand sie einfach da und ließ das heiße Wasser an sich herunterlaufen, dann öffnete sie die Augen wieder. Elaine blickte an sich herunter und sah, wie sich Wasser gemischt mit Blut in der Duschwanne sammelte.
Ein ersticktes Schluchzen entwich Elaine und sie schlug die Hände vors Gesicht und wieder knickten ihre Beine ein und sie schlug hart auf dem kalten Keramikboden auf. Unter dem prasselnden Wasser kauerte sie sich zusammen und weinte. Sie weinte um den jungen Mann, dessen Leben sie genommen hatte, um ihre Familie, die immer noch keine Ahnung hatte, was mit ihr geschehen war… und sie weinte eben auch um ihr Schicksal.
Sie hatte nur leben wollen… immer alles Richtig gemacht, sich nicht mit Jungs eingelassen und auf ihre Bildung konzentriert. Sie war fleißig gewesen, höflich und zuvorkommend gegenüber anderen. Und das hier war ihr Lohn. Sie war zu einem Monster gemacht worden, das immer wieder Gefahr laufen würde, andere zu verletzen. Niemand würde jemals ihre Wärme spüren… sie würde niemals eine Familie gründen können… Und sie hatte keine Wahl gehabt.
Ja selbst ihre Tränen waren ihr genommen worden und durch Tropfen aus dickem, dunkelroten Blut ersetzt worden. Antoine hatte ihr ihre Menschlichkeit in jeder nur erdenklichen Art geraubt.
Noch immer weinend schrie Elaine ihren Schmerz, ihren Zorn und ihre Angst in die Welt hinaus. Sie schlug um sich, gegen die kalten Kacheln auf der Wand, gegen die harte Keramikwanne, in die sie saß und gelegentlich erwischte sie auch den Duschvorhang. All dem, was sich in ihr angestaut hatte, Luft zu machen, fühlte sich in diesem Moment einfach so befreiend an…
Sie hätte nicht sagen können, wie lang sie unter der Dusche geblieben war; es hatte sich nicht lange angefühlt, aber die Erschöpfung, die sie überkam, sagte ihr, dass die Sonne bald aufgehen würde.
Erst jetzt wurde ihr voll bewusst, dass sie das Wasser die ganze Zeit hatte laufen lassen. Hastig drehte sie es ab und rappelte sich wieder auf. Um ein Haar wäre sie ausgerutscht und wieder hingefallen. Ihr war schwindlig, und während sie vorhin noch aus Verzweiflung und Wut gezittert hat, so war es jetzt die Erschöpfung, die ihr das Laufen schwer machte. Elaine stolperte zu dem Haken, an dem ihr großes Badehandtuch hing. Sie wickelte sich in dem Stoff ein und fing an, sich abzureiben, während sie bereits wieder hinaus in ihr Zimmer taumelte.
Kaum hatte sie ihr Bett erreicht und sich hingesetzt, schwanden ihr auch schon die Sinne und sie fiel seitwärts auf die Matratze, immer noch in das große, blaue Handtuch eingewickelt.